«Wir dürfen nie unseren Mut
verlieren»
Die
Diskriminierung der Tamilen in Sri Lanka ist immer noch sehr gross
Interview mit Professor Dr. S. J. Emmanuel,
Präsident des «Global Tamil Forum»
Seit dem
Regierungswechsel in Sri Lanka gibt es etwas Hoffnung für die Tamilen auf eine
Verbesserung ihrer Lage im Land. Kleine Fortschritte im Umgang mit der
tamilischen Minderheit lassen sich beobachten, aber es scheint ein steiniger
und langer Weg zu sein, bis die Tamilen als gleichberechtigte Bürger des
Staates Sri Lanka anerkannt werden. Vielen der tamilischen Gemeinschaft im Land
und in der Diaspora geht das viel zu langsam, und sie sind verständlicherweise
unzufrieden mit der Situation. Auf der anderen Seite stellt sich die Frage, auf
welchem Weg das Ziel des gleichberechtigten Zusammenlebens der beiden
Volksgruppen erreicht werden kann. Im folgenden Interview gibt der tamilische
katholische Priester und Präsident der Tamilenorganisation «Tamil Global
Forum» Professor Dr. S. J. Emmanuel, Auskunft darüber, wie er den
Versöhnungsprozess beurteilt und wo er dabei Probleme sieht.
In Sri Lanka hat die Regierung,
das kann man allgemein sagen, Fortschritte gemacht. Ich habe den Präsidenten
und den Aussenminister in London und Berlin getroffen und beiden gratuliert,
dass sie Fortschritte machen, aber gleichzeitig habe ich die Probleme benannt,
die in Jaffna, Trinconmalee und anderen Orten bestehen.
Was sind das
für Probleme?
Eines, und
das ist das zentrale, ist die Präsenz der Militärs. Die neue Regierung hat eine
Entmilitarisierung versprochen, aber das ist bis heute nicht geschehen. Das
Militär hat eine lange Geschichte in den tamilischen Gebieten. Schon in den
60er Jahren gab es dort eine Militärpräsenz. Die Regierung von Sri Lanka wollte
die Singhalesen vor den Tamilen schützen und die Tamilen unter der Kontrolle
der Singhalesen halten. Das Militär hat das ausgenutzt und sich dort etabliert
und die Region unter militärische Kontrolle genommen.
Wie hat sich
das geäussert?
Wenn man die Nationalflagge anschaut, so hat es die buddhistische Fahne
und zwei farbige Streifen für die Muslime und die Tamilen. Über diese Farben
haben sie das militärische Symbol eingesetzt. Das heisst, die Tamilen und
Muslime leben unter militärischer Kontrolle.
Hat sich das
jetzt 7 Jahre nach dem Ende des Bürgerkrieges geändert?
Bei der
Haushaltsplanung wird immer mehr Geld für das Militär gesprochen. Sie
rechtfertigen es mit der Sicherheit, und dass sie die Menschen schützen wollen,
aber vor wem? Sie sehen die Tamilen immer noch als terroristisches Potential
und als Gefahr für die Einheit des Landes an. Das ist falsch, das ist ein
völlig falsches Verständnis von den Tamilen. Dazu kommt noch, dass das Militär
viel Privatbesitz an Land konfisziert hat. Das müssten sie schon lange
zurückgeben. Die Tamilen haben ihre Häuser nicht zurückbekommen und leben noch
immer in den Camps.
Haben sie
noch gar nichts zurückgegeben?
Sehr, sehr wenig, noch nicht
einmal ein Drittel des unrechtmässig angeeigneten Landes. Sie geben immer
wieder Versprechen, aber sie tun es nicht. Ein zweiter Punkt ist das Gesetz zur
Terrorismusprävention. Mit diesem Gesetz haben sie schon viele junge tamilische
Männer inhaftiert, und diese haben sie bis heute nicht freigelassen. Zum Teil
sind sie seit 20 Jahren im Gefängnis und nie vor ein Gericht gestellt worden.
Für Familien, die seit 20 Jahren ihre Angehörigen im Gefängnis wissen, ist das sehr schwer.
Dazu gibt es noch sehr viele Vermisste, über deren Verbleib niemand etwas
weiss.
Über diese
Dinge haben Sie mit dem Präsidenten gesprochen?
Ja, ich habe ihm das gesagt, und
dass sich im Land etwas ändern müsse. Der Aussenminister Mangala Samaraweera
spricht in der Öffentlichkeit sehr gut. Das ist der Versuch, die Beziehung zur
internationalen Gemeinschaft auf einen neuen Boden zu stellen. Letzte Woche hat
er in Oslo eine sehr schöne Rede gehalten und erklärt, sie wollten eine
multireligiöse und multiethnische Gesellschaft in Sri Lanka und die Resolution
des Uno-Menschenrechtsrats vom letzten Herbst umsetzen.
Was ist das
für eine Resolution?
Am 1. Oktober 2015
hat der Uno-Menschenrechtsrat diese Resolution angenommen, die Sri Lanka dazu
verpflichtet, mit Hilfe eines mit internationalen Mitgliedern besetzten
Ausschusses die Kriegsverbrechen während des Bürgerkrieges zu untersuchen. Aber
bis heute ist nur sehr wenig getan worden, es geht sehr, sehr langsam und es
geschieht sehr wenig. Das sind die grossen Probleme, die bis heute nicht gelöst
sind. Ich kann die Schwierigkeiten der Regierung verstehen. Es ist eine
Koalitionsregierung, und bisher haben diese beiden Parteien immer gegeneinander
gekämpft. Jetzt müssen sie zusammenarbeiten. Aber es sind in der Regierung
immer noch Leute aus der Regierungszeit des alten Präsidenten, und sie denken
anders als der heutige Präsident.
Sie
blockieren die Entwicklung?
Ja, die
Hardliner, und sie sind noch da. Der heutige Präsident ist ein guter Mann, ein
netter Mann. Dieser Präsident hat das Potential, ein wirklicher Staatsmann zu
werden. Er hat diesen Weitblick und einen guten Willen. Aber das genügt nicht.
Er muss es dem singhalesisch-buddhistischen Volk im Süden erklären. Er tut das
zu wenig. Er braucht das Volk, denn seine Koalition arbeitet nicht gut mit ihm
zusammen. Die will nur unter dem Schirm des Präsidenten als Minister in Colombo
sitzen, aber sie tut ihre Arbeit an der Basis nicht. Sie müssen den Menschen
erklären, was an der Uno in Genf beschlossen wurde. Die Menschen in Sri Lanka
erleben den internationalen Ausschuss als Einmischung in das Land und als eine
Verletzung der Souveränität. Das ist ein Missverständnis. Aber die Regierung
ist nicht in der Lage, die Mehrheit des Volkes zu überzeugen. Dazu kommt noch,
dass die Bürokratie und die Militärs der alten Regierung noch im Amt sind, und
das ist nicht gut. Obwohl ich vom Präsidenten zweimal nach Sri Lanka eingeladen
wurde und dieses Jahr mein 50jähriges Priesterjubiläum habe, werde ich nicht in
das Land reisen, weil ich Angst habe.
Warum haben
Sie Angst, in Ihr Land zu reisen?
Wegen der militärischen Präsenz.
Wenn ich nach Jaffna gehe, dann muss ich mich frei bewegen und mit den Menschen
offen reden können und nicht ständig unter militärischer Kontrolle stehen. Ich
verschiebe meinen Besuch nach Sri Lanka wegen der Militärpräsenz.
Der
Hochkommissar für Menschenrechte, Zeid Ra'ad Al-Hussein, hat Sri Lanka besucht.
Hat er sich zu diesem Zustand geäussert?
Er hat die Regierung für alle
positiven Entwicklungen gelobt. Den Menschen geht es besser, man versucht, die
demokratischen Rechte zu achten, und setzt sich gegen Korruption ein. Der
Präsident hat extra die tamilischen Gebiete besucht und auch einen Teil des
konfiszierten Landes zurückgegeben. Und sie haben eine Kommission für die
verschwundenen Menschen eingesetzt, aber ohne die Opfer zu konsultieren. Diese
Kommission ist primär für die betroffenen Opfer. Also müssten sie die Tamilen,
die Opfer, konsultieren, und das gehört zu der häufig erwähnten «Transitional
Justice».
Was bedeutet
das?
Das ist schwer zu erklären. Es
geht darum, dass sich die Rechtspraxis der veränderten äusseren Situation
anpasst. Es geht nicht darum, Kriegsverbrecher zu verurteilen, sondern wir
wollen für das ganze Volk eine Verbesserung der Situation. Wir wollen, dass die
Überlebenden weiterleben können bei einer konkreten Verbesserung der gesamten
Situation, in einer gerechteren Situation. Wir haben nichts davon, wenn z.B.
der ehemalige Präsident Mahinda Rajapaxe zum Tode verurteilt wird. Das hilft
uns nicht konkret. Wir wollen im gesamten eine Verbesserung der Lage auf der
Basis von Wahrheit und Gerechtigkeit.
Wie könnte
das erreicht werden?
Zum Beispiel mit dem «gemischten Gerichtshof». Das war die Idee des
Hochkommissars für Menschenrechte, einen «Hybrid-Court» einzurichten, der sich
aus inländischen und ausländischen Richtern zusammensetzt, um die Verbrechen
des letzten Krieges zu untersuchen. Diesem Vorgehen hat Sri Lanka zunächst
zugestimmt, doch kürzlich haben der Präsident und der Premierminister gesagt,
sie wollten keine internationale Teilnahme bei den Untersuchungen des
Gerichtshofs. Das ist klar gegen den Konsens der im Oktober am
Uno-Menschenrechtsrat verabschiedet wurde. Vor der internationalen Gemeinschaft
an der Uno sprechen sie davon, einen gemischten Gerichtshof einzusetzen, aber
zu Hause sagen sie, es sei eine unzulässige Einmischung von aussen, sie lassen
nur lokale Richter zu. Hier ist das Problem, wir betroffene Tamilen haben in
die lokalen Richter und Gerichtshöfe kein Vertrauen. Das geht nicht, alle
Menschen, Singhalesen, Tamilen und Muslime, haben so schlechte Erfahrungen mit
lokalen Gerichtshöfen gemacht. Hier muss die neue Regierung aktiv werden, sie
reden in der ganzen Welt und sagen zum Beispiel, wir haben mit der
Entmilitarisierung begonnen, und reden davon, einen zivilen Gouverneur statt
eines Militär-Gouverneurs in den Gebieten im Norden und Osten eingesetzt zu
haben.
Ist das kein
Fortschritt?
Nein, sie tauschen einfach die
Person aus, aber das System ist immer noch dasselbe. Mit den Tamilen wird nicht
gesprochen, sie haben keine Stimme. Die Singhalesen entscheiden alles und sind
auch in der Führung. Sie lassen die Tamilen an den Entscheidungen nicht
teilhaben. Das ist der Punkt.
Wie steht es
mit dem Versöhnungsprozess, nachdem die Tamilen so viel Gewalt und
Diskriminierung erlebt haben?
Ja, die Diskriminierung ist immer
noch gross, und ich habe immer gehofft, dass die Religionen etwas zu diesem
Prozess der Versöhnung beitragen. Aber inklusive meiner Kirche wird zu wenig
für die Versöhnung der Menschen getan. Papst Franziskus hat letztes Jahr Sri
Lanka besucht und extra die tamilischen Gebiete im Norden des Landes. Er hat
die Wichtigkeit des Christentums für einen Versöhnungsprozess betont, aber die
Kirche hat nichts getan und überlässt es der Politik. Aber hier fehlt das
Vertrauen, die Menschen leiden. Sie wollen Gerechtigkeit.
Gibt es
keine Unterstützung vom Uno-Hochkommissar für Menschenrechte?
Die Tamilen erwarten mehr von ihm
und wünschen sich, dass er harte Worte gegen Sri Lanka spricht. Aber das ist
schwierig für ihn, er will die Regierung im Boot behalten und sie nicht
verärgern. Die letzte Regierung von Sri Lanka hat sich geweigert, mit der Uno
zusammenzuarbeiten, und das möchte Zeid Ra'ad Al-Hussein natürlich verhindern.
Das kann ich nachvollziehen, aber viele Tamilen wünschen sich ein hartes
Vorgehen gegen Sri Lanka. Sie verkennen unsere Situation. Wir sind kein Staat,
wir haben nur die Uno, die etwas für uns tun kann, sonst sind wir vollständig
allein. Auch wenn wir viel Korruption in der Struktur der Uno haben, es gibt
für uns keine Alternative.
Wie geht es
jetzt weiter?
Die Regierung von Sri Lanka muss
bis März 2017 einen schriftlichen Bericht abgeben. Sie haben noch einige Monate
Zeit, aber ob sie das wirklich bis dahin machen, ist sehr ungewiss. Ich
vermute, Sri Lanka will Zeit gewinnen. Der Hochkommissar für Menschenrechte hat
bereits davon gesprochen, dass Regierungen für solche Prozesse mehr Zeit
brauchen. Sri Lanka wird dies ausnutzen und mehr Zeit verlangen.
Was bedeutet
das für die Tamilen?
Wir Tamilen
dürfen die Hoffnung nicht verlieren. Wir müssen weiter darum kämpfen. Es gibt
junge Leute, die sind frustriert und ständig am Kritisieren, das geht nicht.
Ich gebe ein Beispiel. Sie leihen 100 Franken aus und bekommen 25 zurück. Was
muss ich tun? Ich muss mich für die 25 bedanken und dann einen Weg suchen, wie
ich den Rest zurückbekomme. Die Tamilen wollen zu Recht ihre 100 Franken von
der Regierung, bekommen nur 25 Franken und wollen sich nicht bedanken, denn sie
sagen, das ist unser Geld, es gehört uns. Das ist ein Fehler. Meine Art ist,
erst zu danken und dann zu versuchen, den Rest auch noch zu bekommen. Aber das
ist ein längerer Weg, der Weg der Diplomatie.
Was deutlich
wird, ist, dass die viel gepriesene internationale Gemeinschaft in den letzten
50 Jahren versagt hat.
Ja, so ist es, darauf können wir uns nicht verlassen, wir sind auf uns
alleine gestellt. Aber wir dürfen nicht vergessen, wir sind nicht die einzigen
auf der Welt, denen es so ergeht. Es gibt z. B. in Afrika viele Volksgruppen, die leiden, darüber
erfahren wir nichts. Es gibt nur eines, wir dürfen nie unseren Mut verlieren.
Mut zum Leben, Mut zum Kämpfen, Mut zum Glauben, so dass die Wahrheit am Ende
triumphiert!
Woher nehmen
Sie den Mut, nach all dem, was Sie und Ihr Volk erlebt haben?
Jeden Morgen, wenn ich reise,
sage ich mir, Mut zum Leben, Mut zum Glauben, Mut zum Wagen. Neben dem Glauben
braucht es aber auch den Mut, etwas zu tun. Viele haben den Glauben, aber nicht
den Mut, etwas zu tun. Viele Christen wollen ihre Religion leben mit allem, was
dazu gehört, aber es fehlt der Mut. Der Papst hat uns neuen Mut gegeben. Für
mich als Christ ist das einfacher, als für die Mehrheit der Tamilen, die Hindus
sind. Ihre Religion ist hier im Kampf nicht so hilfreich. Sie beten und alles,
was geschieht, ist Gottes Wille, da lässt sich nichts ändern. Mut und Hoffnung
ist ein entscheidender Bestandteil der christlichen Religion. Sonst haben wir
einen schönen Gottesdienst, singen gemeinsam und beten, aber wir tun nichts.
Das hilft den Menschen nicht. Ich sehe meine Rolle als Priester im Namen Jesu
Christi, mich für Frieden und Gerechtigkeit einzusetzen. Ich sehe mich in der
Nachfolge Jesu Christi, aber ich diene. Ich habe gelernt, zu dienen und nicht
zu regieren. Ich unterschreibe nicht als Priester, sondern als Diener. Ich
diene dem Volk, und das ist meine Aufgabe.
Herr
Professor Emmanuel, vielen Dank für das Gespräch.
Interview Thomas Kaiser