Samstag, 24. September 2016

Interview mit Zeitgeshehen im Fokus-


 

«Wir dürfen nie unseren Mut verlieren»

Die Diskriminierung der Tamilen in Sri Lanka ist immer noch sehr gross

Interview mit Professor Dr. S. J. Emmanuel, Präsident des «Global Tamil Forum»

Seit dem Regierungswechsel in Sri Lanka gibt es etwas Hoffnung für die Tamilen auf eine Verbesserung ihrer Lage im Land. Kleine Fortschritte im Umgang mit der tamilischen Minderheit lassen sich beobachten, aber es scheint ein steiniger und langer Weg zu sein, bis die Tamilen als gleichberechtigte Bürger des Staates Sri Lanka anerkannt werden. Vielen der tamilischen Gemeinschaft im Land und in der Diaspora geht das viel zu langsam, und sie sind verständlicherweise unzufrieden mit der Situation. Auf der anderen Seite stellt sich die Frage, auf welchem Weg das Ziel des gleichberechtigten Zusammenlebens der beiden Volksgruppen erreicht werden kann. Im folgenden Interview gibt der tamilische katholische Priester und Präsident der Tamilenorganisation «Tamil Global Forum» Professor Dr. S. J. Emmanuel, Auskunft darüber, wie er den Versöhnungsprozess beurteilt und wo er dabei Probleme sieht.

 Wie hat sich das Leben für die Tamilen in Sri Lanka entwickelt?

In Sri Lanka hat die Regierung, das kann man allgemein sagen, Fortschritte gemacht. Ich habe den Präsidenten und den Aussenminister in London und Berlin getroffen und beiden gratuliert, dass sie Fortschritte machen, aber gleichzeitig habe ich die Probleme benannt, die in Jaffna, Trinconmalee und anderen Orten bestehen.

Was sind das für Probleme?

Eines, und das ist das zentrale, ist die Präsenz der Militärs. Die neue Regierung hat eine Entmilitarisierung versprochen, aber das ist bis heute nicht geschehen. Das Militär hat eine lange Geschichte in den tamilischen Gebieten. Schon in den 60er Jahren gab es dort eine Militärpräsenz. Die Regierung von Sri Lanka wollte die Singhalesen vor den Tamilen schützen und die Tamilen unter der Kontrolle der Singhalesen halten. Das Militär hat das ausgenutzt und sich dort etabliert und die Region unter militärische Kontrolle genommen.

Wie hat sich das geäussert?

Wenn man die Nationalflagge anschaut, so hat es die buddhistische Fahne und zwei farbige Streifen für die Muslime und die Tamilen. Über diese Farben haben sie das militärische Symbol eingesetzt. Das heisst, die Tamilen und Muslime leben unter militärischer Kontrolle.

Hat sich das jetzt 7 Jahre nach dem Ende des Bürgerkrieges geändert?

Bei der Haushaltsplanung wird immer mehr Geld für das Militär gesprochen. Sie rechtfertigen es mit der Sicherheit, und dass sie die Menschen schützen wollen, aber vor wem? Sie sehen die Tamilen immer noch als terroristisches Potential und als Gefahr für die Einheit des Landes an. Das ist falsch, das ist ein völlig falsches Verständnis von den Tamilen. Dazu kommt noch, dass das Militär viel Privatbesitz an Land konfisziert hat. Das müssten sie schon lange zurückgeben. Die Tamilen haben ihre Häuser nicht zurückbekommen und leben noch immer in den Camps.

Haben sie noch gar nichts zurückgegeben?

Sehr, sehr wenig, noch nicht einmal ein Drittel des unrechtmässig angeeigneten Landes. Sie geben immer wieder Versprechen, aber sie tun es nicht. Ein zweiter Punkt ist das Gesetz zur Terrorismusprävention. Mit diesem Gesetz haben sie schon viele junge tamilische Männer inhaftiert, und diese haben sie bis heute nicht freigelassen. Zum Teil sind sie seit 20 Jahren im Gefängnis und nie vor ein Gericht gestellt worden. Für Familien, die seit 20Jahren ihre Angehörigen im Gefängnis wissen, ist das sehr schwer. Dazu gibt es noch sehr viele Vermisste, über deren Verbleib niemand etwas weiss.

Über diese Dinge haben Sie mit dem Präsidenten gesprochen?

Ja, ich habe ihm das gesagt, und dass sich im Land etwas ändern müsse. Der Aussenminister Mangala Samaraweera spricht in der Öffentlichkeit sehr gut. Das ist der Versuch, die Beziehung zur internationalen Gemeinschaft auf einen neuen Boden zu stellen. Letzte Woche hat er in Oslo eine sehr schöne Rede gehalten und erklärt, sie wollten eine multireligiöse und multiethnische Gesellschaft in Sri Lanka und die Resolution des Uno-Menschenrechtsrats vom letzten Herbst umsetzen.

Was ist das für eine Resolution?

Am 1.Oktober 2015 hat der Uno-Menschenrechtsrat diese Resolution angenommen, die Sri Lanka dazu verpflichtet, mit Hilfe eines mit internationalen Mitgliedern besetzten Ausschusses die Kriegsverbrechen während des Bürgerkrieges zu untersuchen. Aber bis heute ist nur sehr wenig getan worden, es geht sehr, sehr langsam und es geschieht sehr wenig. Das sind die grossen Probleme, die bis heute nicht gelöst sind. Ich kann die Schwierigkeiten der Regierung verstehen. Es ist eine Koalitionsregierung, und bisher haben diese beiden Parteien immer gegeneinander gekämpft. Jetzt müssen sie zusammenarbeiten. Aber es sind in der Regierung immer noch Leute aus der Regierungszeit des alten Präsidenten, und sie denken anders als der heutige Präsident.

Sie blockieren die Entwicklung?

Ja, die Hardliner, und sie sind noch da. Der heutige Präsident ist ein guter Mann, ein netter Mann. Dieser Präsident hat das Potential, ein wirklicher Staatsmann zu werden. Er hat diesen Weitblick und einen guten Willen. Aber das genügt nicht. Er muss es dem singhalesisch-buddhistischen Volk im Süden erklären. Er tut das zu wenig. Er braucht das Volk, denn seine Koalition arbeitet nicht gut mit ihm zusammen. Die will nur unter dem Schirm des Präsidenten als Minister in Colombo sitzen, aber sie tut ihre Arbeit an der Basis nicht. Sie müssen den Menschen erklären, was an der Uno in Genf beschlossen wurde. Die Menschen in Sri Lanka erleben den internationalen Ausschuss als Einmischung in das Land und als eine Verletzung der Souveränität. Das ist ein Missverständnis. Aber die Regierung ist nicht in der Lage, die Mehrheit des Volkes zu überzeugen. Dazu kommt noch, dass die Bürokratie und die Militärs der alten Regierung noch im Amt sind, und das ist nicht gut. Obwohl ich vom Präsidenten zweimal nach Sri Lanka eingeladen wurde und dieses Jahr mein 50jähriges Priesterjubiläum habe, werde ich nicht in das Land reisen, weil ich Angst habe.

Warum haben Sie Angst, in Ihr Land zu reisen?

Wegen der militärischen Präsenz. Wenn ich nach Jaffna gehe, dann muss ich mich frei bewegen und mit den Menschen offen reden können und nicht ständig unter militärischer Kontrolle stehen. Ich verschiebe meinen Besuch nach Sri Lanka wegen der Militärpräsenz.

Der Hochkommissar für Menschenrechte, Zeid Ra'ad Al-Hussein, hat Sri Lanka besucht. Hat er sich zu diesem Zustand geäussert?

Er hat die Regierung für alle positiven Entwicklungen gelobt. Den Menschen geht es besser, man versucht, die demokratischen Rechte zu achten, und setzt sich gegen Korruption ein. Der Präsident hat extra die tamilischen Gebiete besucht und auch einen Teil des konfiszierten Landes zurückgegeben. Und sie haben eine Kommission für die verschwundenen Menschen eingesetzt, aber ohne die Opfer zu konsultieren. Diese Kommission ist primär für die betroffenen Opfer. Also müssten sie die Tamilen, die Opfer, konsultieren, und das gehört zu der häufig erwähnten «Transitional Justice».

Was bedeutet das?

Das ist schwer zu erklären. Es geht darum, dass sich die Rechtspraxis der veränderten äusseren Situation anpasst. Es geht nicht darum, Kriegsverbrecher zu verurteilen, sondern wir wollen für das ganze Volk eine Verbesserung der Situation. Wir wollen, dass die Überlebenden weiterleben können bei einer konkreten Verbesserung der gesamten Situation, in einer gerechteren Situation. Wir haben nichts davon, wenn z.B. der ehemalige Präsident Mahinda Rajapaxe zum Tode verurteilt wird. Das hilft uns nicht konkret. Wir wollen im gesamten eine Verbesserung der Lage auf der Basis von Wahrheit und Gerechtigkeit.

Wie könnte das erreicht werden?

Zum Beispiel mit dem «gemischten Gerichtshof». Das war die Idee des Hochkommissars für Menschenrechte, einen «Hybrid-Court» einzurichten, der sich aus inländischen und ausländischen Richtern zusammensetzt, um die Verbrechen des letzten Krieges zu untersuchen. Diesem Vorgehen hat Sri Lanka zunächst zugestimmt, doch kürzlich haben der Präsident und der Premierminister gesagt, sie wollten keine internationale Teilnahme bei den Untersuchungen des Gerichtshofs. Das ist klar gegen den Konsens der im Oktober am Uno-Menschenrechtsrat verabschiedet wurde. Vor der internationalen Gemeinschaft an der Uno sprechen sie davon, einen gemischten Gerichtshof einzusetzen, aber zu Hause sagen sie, es sei eine unzulässige Einmischung von aussen, sie lassen nur lokale Richter zu. Hier ist das Problem, wir betroffene Tamilen haben in die lokalen Richter und Gerichtshöfe kein Vertrauen. Das geht nicht, alle Menschen, Singhalesen, Tamilen und Muslime, haben so schlechte Erfahrungen mit lokalen Gerichtshöfen gemacht. Hier muss die neue Regierung aktiv werden, sie reden in der ganzen Welt und sagen zum Beispiel, wir haben mit der Entmilitarisierung begonnen, und reden davon, einen zivilen Gouverneur statt eines Militär-Gouverneurs in den Gebieten im Norden und Osten eingesetzt zu haben.

Ist das kein Fortschritt?

Nein, sie tauschen einfach die Person aus, aber das System ist immer noch dasselbe. Mit den Tamilen wird nicht gesprochen, sie haben keine Stimme. Die Singhalesen entscheiden alles und sind auch in der Führung. Sie lassen die Tamilen an den Entscheidungen nicht teilhaben. Das ist der Punkt.

Wie steht es mit dem Versöhnungsprozess, nachdem die Tamilen so viel Gewalt und Diskriminierung erlebt haben?

Ja, die Diskriminierung ist immer noch gross, und ich habe immer gehofft, dass die Religionen etwas zu diesem Prozess der Versöhnung beitragen. Aber inklusive meiner Kirche wird zu wenig für die Versöhnung der Menschen getan. Papst Franziskus hat letztes Jahr Sri Lanka besucht und extra die tamilischen Gebiete im Norden des Landes. Er hat die Wichtigkeit des Christentums für einen Versöhnungsprozess betont, aber die Kirche hat nichts getan und überlässt es der Politik. Aber hier fehlt das Vertrauen, die Menschen leiden. Sie wollen Gerechtigkeit.

Gibt es keine Unterstützung vom Uno-Hochkommissar für Menschenrechte?

Die Tamilen erwarten mehr von ihm und wünschen sich, dass er harte Worte gegen Sri Lanka spricht. Aber das ist schwierig für ihn, er will die Regierung im Boot behalten und sie nicht verärgern. Die letzte Regierung von Sri Lanka hat sich geweigert, mit der Uno zusammenzuarbeiten, und das möchte Zeid Ra'ad Al-Hussein natürlich verhindern. Das kann ich nachvollziehen, aber viele Tamilen wünschen sich ein hartes Vorgehen gegen Sri Lanka. Sie verkennen unsere Situation. Wir sind kein Staat, wir haben nur die Uno, die etwas für uns tun kann, sonst sind wir vollständig allein. Auch wenn wir viel Korruption in der Struktur der Uno haben, es gibt für uns keine Alternative.

Wie geht es jetzt weiter?

Die Regierung von Sri Lanka muss bis März 2017 einen schriftlichen Bericht abgeben. Sie haben noch einige Monate Zeit, aber ob sie das wirklich bis dahin machen, ist sehr ungewiss. Ich vermute, Sri Lanka will Zeit gewinnen. Der Hochkommissar für Menschenrechte hat bereits davon gesprochen, dass Regierungen für solche Prozesse mehr Zeit brauchen. Sri Lanka wird dies ausnutzen und mehr Zeit verlangen.

Was bedeutet das für die Tamilen?

Wir Tamilen dürfen die Hoffnung nicht verlieren. Wir müssen weiter darum kämpfen. Es gibt junge Leute, die sind frustriert und ständig am Kritisieren, das geht nicht. Ich gebe ein Beispiel. Sie leihen 100 Franken aus und bekommen 25 zurück. Was muss ich tun? Ich muss mich für die 25 bedanken und dann einen Weg suchen, wie ich den Rest zurückbekomme. Die Tamilen wollen zu Recht ihre 100 Franken von der Regierung, bekommen nur 25 Franken und wollen sich nicht bedanken, denn sie sagen, das ist unser Geld, es gehört uns. Das ist ein Fehler. Meine Art ist, erst zu danken und dann zu versuchen, den Rest auch noch zu bekommen. Aber das ist ein längerer Weg, der Weg der Diplomatie.

Was deutlich wird, ist, dass die viel gepriesene internationale Gemeinschaft in den letzten 50 Jahren versagt hat.

Ja, so ist es, darauf können wir uns nicht verlassen, wir sind auf uns alleine gestellt. Aber wir dürfen nicht vergessen, wir sind nicht die einzigen auf der Welt, denen es so ergeht. Es gibt z.B. in Afrika viele Volksgruppen, die leiden, darüber erfahren wir nichts. Es gibt nur eines, wir dürfen nie unseren Mut verlieren. Mut zum Leben, Mut zum Kämpfen, Mut zum Glauben, so dass die Wahrheit am Ende triumphiert!

Woher nehmen Sie den Mut, nach all dem, was Sie und Ihr Volk erlebt haben?

Jeden Morgen, wenn ich reise, sage ich mir, Mut zum Leben, Mut zum Glauben, Mut zum Wagen. Neben dem Glauben braucht es aber auch den Mut, etwas zu tun. Viele haben den Glauben, aber nicht den Mut, etwas zu tun. Viele Christen wollen ihre Religion leben mit allem, was dazu gehört, aber es fehlt der Mut. Der Papst hat uns neuen Mut gegeben. Für mich als Christ ist das einfacher, als für die Mehrheit der Tamilen, die Hindus sind. Ihre Religion ist hier im Kampf nicht so hilfreich. Sie beten und alles, was geschieht, ist Gottes Wille, da lässt sich nichts ändern. Mut und Hoffnung ist ein entscheidender Bestandteil der christlichen Religion. Sonst haben wir einen schönen Gottesdienst, singen gemeinsam und beten, aber wir tun nichts. Das hilft den Menschen nicht. Ich sehe meine Rolle als Priester im Namen Jesu Christi, mich für Frieden und Gerechtigkeit einzusetzen. Ich sehe mich in der Nachfolge Jesu Christi, aber ich diene. Ich habe gelernt, zu dienen und nicht zu regieren. Ich unterschreibe nicht als Priester, sondern als Diener. Ich diene dem Volk, und das ist meine Aufgabe.

Herr Professor Emmanuel, vielen Dank für das Gespräch.

Interview Thomas Kaiser